Der Jakobsweg durch Wien hat eine lange Tradition
Zunächst einmal gilt es für diesen historischen Jakobsweg einen Zeitraum einzugrenzen. Das Pilgertum nach Santiago de Compostela begann etwa ab 930, damals trafen erste Pilger aus dem Bodenseeraum in Santiago ein. Im 11. und 12. Jahrhundert begann die große Zeit des Jakobspilgertums, die von der Reformation im 15. und 16. Jahrhundert beendet wurde.
Martin Luther meinte, es sei nicht sicher, ob im Grab in Santiago „der Jakob oder irgendein Hund“ im Sarg liege. Vor allem hatte er auch Bedenken betreffend der Totalabsolution, den Nachlass aller Sünden, für Jakobspilger.
Die für uns interessanteste Zeitspanne ist also die Zeit von etwa 1100 bis etwa 1600..
Aber auch danach pilgerten tausende Menschen bis zum heutigen Tage nach Santiago. Es gab mehrere Kriege seit dem Beginn des Pilgerns, die auch den Weg sehr beeinflussten und veränderten.
Den örtlichen Rahmen möchte ich etwas größer anlegen als es heute durch die Stadtgrenze von Wien definiert ist. Wien bestand ja damals aus der von Mauern umgebenen Stadt, deren Grenze etwa durch die heutige Ringstraße definiert ist. Wenn wir heute vom „Jakobsweg durch Wien“ sprechen, setzen wir die Grenzen des heutigen Stadtgebietes voraus und meinen den Abschnitt von Schwechat bis Purkersdorf.
Wenn wir im Mittelalter vom Jakobsweg durch Wien gesprochen hätten, hätten wir den Abschnitt vom Stubentor bis zum Widmertor beziehungsweise ab etwa 1600 vom Stubentor zum Kärntnertor gemeint.
Aber – wie findet man einen Weg, der vor einigen hundert Jahren mal da war?
Wege halten länger als Orte, das ist ein Phänomen, aber es ist so. Wege können nämlich von allen benutzt werden. Beim Jakobsweg in der Gegend von Wien war es einfach so, dass Römerstraßen bereits vorhanden waren, als die Pilgerbewegung einsetzte.
Eine dieser Römerstraßen verband die Garnisonsstädte Aquincum (Budapest), Brigetio (Komaron) und Carnuntum (Deutsch Altenburg) mit Vindobona, unserem heutigen Wien. Auch der Jakobsweg-Ast, der in Budapest beginnt, nimmt diesen Weg. Die Römer verstanden es eben, sehr haltbare Strassen zu bauen. Zwischen Carnuntum und Vindobona lagen die beiden Kastelle Aquinocticum (Fischamend) und Ala nova (Schwechat)
Ein Ort in der Nähe von Fischamend und Schwechat ist Lanzendorf, hier möchte ich unseren Jakobsweg bei und in Wien beginnen. Weithin sichtbar ist die barocke Kirche von Maria Lanzendorf (eigentlich Maria, Königin des Friedens). Diese Kirche entstand nach der Hochblüte des Jakobspilgerns in Österreich – aber es steht eine viel ältere Geschichte dahinter. Der Legende nach hat hier im Jahre 70, 71 oder auch 77 der Apostel und Evangelist Lukas den Markomannen gepredigt. An dieser Stelle wurde dann von christlichen römischen Legionären eine kleine Kapelle errichtet. Dieses kleine Heiligtum wurde immer wieder zerstört und immer wieder aufgebaut. Es wird auch von einer Vielzahl an Wunderheilungen berichtet. Wenn man die Kirche betritt, fällt einem als erstes eine „Kirche in der Kirche“ auf, die alte Gnadenkapelle Maria auf der Heide wurde einfach überbaut und steht jetzt als Altar in der neuen Kirche.
Maria Lanzendorf ist zwar nicht als Station am Jakobsweg beschrieben, aber es wäre verwunderlich, wenn die früheren Pilger diesen Ort der Gnade ausgelassen hätten. Die Kirche von Lanzendorf hat viel Geheimnisvolles zu bieten, etwa eine Hand mit Kruzifix, die aus der Kanzel ragt, etwa so, als ob ein sterbender Priester seine Gemeinde ein letztes mal segnen möchte. Besonderheiten von Maria Lanzendorf sind auch eine Votivkapelle mit einer Menge von Bildern, die die Errettung aus Krankheiten oder bei Unglücksfällen zeigen, und ein Kalvarienberg neben der Kirche.
Von Lanzendorf geht‘s nach Schwechat, dem offiziellen Beginn des Jakobsweges durch Wien aus heutiger Sicht. In Schwechat steht die Pfarrkirche St. Jakob mit einem markanten rosa-weiß-gefärbelten Barockturm, an der gleichen Stelle gab es eine romanische und später eine gotische Vorgängerkirche.
Schwechat war bereits vor 1360 Pfarre. Die jetzige Kirche hat leider den zweiten Weltkrieg nur sehr schwer beschädigt überstanden, es dauerte bis in die 1980er-Jahre, bis die Renovierungsarbeiten beendet waren.
Von Schwechat weg geht‘s ziemlich gerade nach Wien, die Simmeringer Hauptstraße war eine Römerstraße. Heute ist sie ziemlich uninteressant, außer für Liebhaber von Handyshops, 1-Euro-Läden und Dönerlokalen.
Das war aber nicht immer so. Im 16. Jahrhundert gingen die Pilger bei einer riesigen Baustelle vorbei, dem Schloss Neugebäude. Kaiser Maximilian II ließ es errichten, erlebte aber die Fertigstellung nicht mehr – nach seinem Tod verfiel das Schloss.
Dort, wo die barocken Gärten waren, sind jetzt Krematorium und Urnenhain. Ein Stück weiter Richtung Wien stand seit dem 13. Jahrhundert die Burg Ebersdorf, ab 1500 im Besitz von Kaiser Maximilian I. Seither heißt der Ort Kaiserebersdorf. Die Burg wurde bei der 2. Türkenbelagerung zerstört, später wieder als Schloss wieder aufgebaut, das allerdings heute ein Gefangenenhaus ist.
Eine Pfarrkirche von Ebersdorf gab es bereits im 12. Jahrhundert, sie wurde in beiden Türkenkriegen zerstört und danach immer wieder aufgebaut, der jetzige markante Bau stammt aus der Barockzeit.
Weiter führte der Weg auf der alten Römerstraße, nach kurzer Zeit kam der Pilger ab dem 13. Jahrhundert an einem Krankenhaus, Siechenhaus St. Lazar oder später St. Markus genannt, vorbei. Hierher, weit von der Stadt entfernt, wurden kranke Bürger Wiens gebracht, um Ansteckungen der Stadtbevölkerung zu vermeiden. Dieses Spital wurde bei beiden Türkenbelagerungen jeweils zerstört und danach wieder aufgebaut. Seit dem 14. Jahrhundert gab es auch ein berühmtes Brauhaus in der Gegend, dessen Bier durstige Pilger erfrischen konnte. Heute erinnert nur mehr der Ortsname St. Marx daran. Nach 1700 passiere der Weg hier eine erste Verteidigungsanlage der Stadt, den Linienwall, mit einer befestigten Toranlage.
Der Weg machte dann (vermutlich) einen Rechtsschwenk auf die jetzige Landstraßer Hauptstraße. In der Römerzeit lag rechts des Weges ein Handelsplatz, der erst in den letzten Jahren entdeckt wurde, dort trafen sich offenbar römische Händler mit den Angehörigen hiesiger Kelten- oder Germanenstämme, um miteinander waren zu tauschen.
Dieser Handelsplatz wurde erst in den letzten Jahren beim Abbruch des Postgebäudes am Rochusplatz von Archäologen entdeckt. Nach 1300 stand hier das St. Nikolai-Kloster, das 1529 bei der 1. Türkenbelagerung zerstört wurde.
Danach entstand an dieser Stelle ein Friedhof, jetzt ist der Rochusmarkt dort. Die prunkvolle Rochuskirche gegenüber des Marktes entstand an Stelle einer Rupertikapelle, die bei der 2. Türkenbelagerung 1683 zerstört wurde.
Rochus ist, wie Jakobus, ein Pilgerheiliger, er wird auch oft im Pilgergewand mit Muscheln dargestellt. Er ist der Schutzpatron gegen die Pest. Pikanterweise wurde Rochus von Montpellier niemals heiliggesprochen, das wurde einfach vergessen. Deshalb wird ihm in Kirchen meist der Heilige Märtyrer Stephanus zur Seite gestellt, ebenfalls ein Schutzpatron gegen die Pest und jedenfalls ein anerkannter Heiliger.
Dann erreichte der Pilger das Glacis, einen breiten Streifen unbebautes Land, dahinter war ein tiefer Graben, und die mächtige Stadtmauer ragte empor.
Über eine Brücke gelangte man zum Stubentor und durch dieses auf die Wollstrazze, später Wollzeile, übrigens angeblich die älteste Straße Wiens, aus einer straße des Römerlager Vindobona entstanden.
Links dieser Straße war das Augustiner-Chorfrauen-Kloster mit der Kirche St. Jakob auf der Hülben. Das Kloster wurde bei den Türkenbelagerungen durch Kanonentreffer schwer beschädigt, die Kirche stürzte bei einem Erdbeben ein, und schließlich wurde das Kloster unter Josef II aufgehoben.
Heute erinnern die Jakobergasse und die Straße „An der Hülben“ an das Kloster. Das Hauptziel der Pilger in Wien war sicher die Kathedrale, der Stephansdom. Der riesige Dom ist seit 1137 eine ewige Baustelle, ständig gilt es Ausbesserungen vorzunehmen, und es wurde auch Jahrhunderte lang gebaut, bis der Dom seine jetzige Form hatte.
Interessanterweise ist es ab hier schwieriger, den historischen Verlauf des Jakobsweges zu verfolgen. Es dürften sich auch im Laufe der Jahrhunderte zwei verschiedene Varianten gebildet haben. Wien selbst hat sich ja auch sehr verändert in den letzten paar hundert Jahren.
Kirchen sind da recht stabile Orientierungspunkte. In der Wiener Innenstadt hab ich 25 davon gezählt und wahrscheinlich einige übersehen. Kirchen sind auch gute Markierungspunkte, aber über die Jahrhunderte hinweg verändern sie sich rascher als die Straßen. So ist etwa die jetzige Peterskirche, zu der vom Graben die Jungferngasse führt, die dritte Peterskirche an dieser Stelle. Die erste Peterskirche war ein umgebautes Garnisonsgebäude des Römerlagers Carnuntum. Auf diesem Platz wurde vor 1400 unter Verwendung der alten Bauteile eine gotische Kirche errichtet, die dann nach 1700 abgetragen und durch die jetzige barocke Kuppelkirche ersetzt wurde.
Der Pilgerweg führte bis etwa 1650 über den Graben und den Kohlmarkt, vorbei an Kirche und Kloster St. Michael, zum Widmer Tor in der Nähe des jetzigen Heldentores.
Zu diesem Tor gelangen die Pilger auf seinem Weg direkt vor der kaiserlichen Burg mit ihren vier Türmen, dem jetzigen Schweizertrakt der Hofburg. Später, nach 1600, wurde der Leopoldinische Trakt der Hofburg errichtet, danach mussten die Pilger vermutlich die Stadt durch das Kärntner Tor verlassen.
Damit wäre ein Weg entlang des Wienflusses möglich gewesen, die Gegend war allerdings sumpfig und mit Urwald bedeckt.
Vermutlich wählten die Pilger den Weg über den Bergrücken, der heute der Mariahilfer Straße entspricht und auch durch eine alte Römerstraße vorgegeben war, vorbei an Kirche und Kloster St. Diepold (Theobald).
Dieses Kloster wurde um 1350 gegründet und bei der ersten Türkenbelagerung 1529 vollständig zerstört. Links und rechts der Straße breiteten sich Weingärten aus.
Die Wallfahrtskirche Maria Himmelfahrt, die heutige Mariahilferkirche, entstand erst nach der 2. Türkenbelagerung.
Aber auch die Gumpendorfer Straße war eine Römerstraße, die Pilgerroute könnte auch diesen Weg genommen haben. Wahrscheinlicher ist der Weg, der der heutigen Mariahilferstraße entspricht. Dieser Weg kreuzte in der Gegend des heutigen Westbahnhofes den Linienwall, danach kam ein Karmeliterhof-Gut und einige Dörfer mit den Namen Dreihäusl, Fünfhäusel und Sechshäusel, die Namen leben im Bezirksnamen Fünfhaus und in der Dreihausgasse und der Sechshauserstraße weiter.
Der Weg führte über die jetzige Linzerstraße – vermutlich auch eine Römerstraße – durch den Ort Penzing, und hier findet sich wieder eine handfeste Jakobswegspur, die Pfarrkirche von Penzing ist Jakobus dem Älteren geweiht. Sie wird 1267 erstmals urkundlich erwähnt, wurde auch in den Türkenkriegen zerstört, aber immer wieder aus den Ruinen aufgebaut. Die letzte Zerstörung mit anschließendem Wiederaufbau brachte der 2. Weltkrieg. Interessanterweise hat die Kirche einen zweiten Jakob als Patron, einen seliggesprochenen Priester des 20. Jahrhundert (1897 – 1924). Im benachbarten Häuserblock, in der Penzingerstraße, ist auch eine Rochus- und Sebastiankapelle aus dem 17. Jahrhundert zu finden.
Ein Stück weiter auf der Linzerstraße, die in die Hauptstraße übergeht, findet sich die Kirche und das ehemalige Kloster Mariabrunn, das der Legende nach von der Ungarnkönigin Gisela im Jahre 1042 an einer heilsamen Quelle gegründet wurde. Über die Jahrhunderte hinweg wurde die Kirche und das Kloster immer wieder zerstört und wieder aufgebaut, die jetzige Fassung entstand nach der 2. Türkenbelagerung. Das Kloster der unbeschuhten Augustiner-Eremiten wurde 1828 aufgegeben, das Gebäude beherbergt seither eine Forstakademie.
Ab der Stadtgrenze heißt die Hauptstraße interessanterweise wieder Linzerstraße, sie führt uns zur Jakobskirche in Purkersdorf. Diese Kirche bestand bereits vor 1333, wurde bei beiden Türkenbelagerungen niedergebrannt und danach wieder aufgebaut. Die Kirche beherbergt ein seltenes Gnadenbild, die Maria Lactans – Maria, die das Jesuskind an ihrer Brust nährt. Die Legende besagt, dass dieses Bild vom Wienfluß angeschwemmt wurde.
Die Realität ist fast noch spannender, das Bild ist eine Kopie eines Maria-lactans-Bildes aus Lima, Peru, und wurde wahrscheinlich von Jesuiten-Missionaren nach Europa gebracht, wo es von einer Mühlenbesitzerin als Dank für die Errettung vor den Türken 1683 und der Pestepidemie 1713 gekauft und gespendet wurde.
Der Weg geht dann weiter über den Riederberg in Richtung Stift Göttweig. Ich möchte meine kleine Reise durch die Geschichte des Jakobsweges in und um Wien mit einer kurzen Betrachtung der Geschichte eines kleinen Klosters beschließen. Sancta Maria in Paradyso hieß die kleine Gemeinschaft, um 1440 aus einer Laurentius-Kirche entstanden, das Kloster wurde 1529 von den Türken niedergebrannt, wobei 18 Klosterbrüder starben. Das Kloster wurde dann aufgrund seiner einsamen Lage im Wald als zu gefährlich erachtet und nicht wieder aufgebaut. Ein Holzkreuz vor dem zerstörten Kirchenschiff gibt heute den Pilgern die Möglichkeit, zu einer kleinen Andacht innezuhalten am langen Weg nach Santiago de Compostela.
Autor des Beitrages: Paul Baumann
Jakobspilger und Gründer der
Ich möchte vorausschicken, ich bin kein Historiker, ich bin nur an Geschichte und auch an Geschichten sehr interessiert.
Eine Pilgerfreundin aus Oberösterreich schrieb mir, ich glaube 2011, sie möchte mit mir den Jakobsweg durch Wien gehen. Sie kam aus Wolfsthal und hatte einen Pilgerführer, der Wien ausließ und empfahl, die Stadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu durchqueren. Meine Pilgerfreundin meinte aber, ich als Wiener müsse doch den alten Weg durch die Stadt finden können. Damit weckte sie meinen Ehrgeiz, und ich begann zu recherchieren.
Es ist mir klar, dass in meinem kleinen Versuch einer Rekonstruktion des historischen Jakobsweges durch Wien einiges spekulativ ist, vor allem im zweiten Teil, vom Stephansplatz bis Purkersdorf. Ich hab halt nach bestem Wissen versucht, die historische Wahrheit zu finden.